Die Dynamik der Musterentstehung, des Mustererhalts und warum wir Widerstand feiern sollten
Entstehung von Mustern: Komplexitätsreduktion
Muster entstehen meist aus dem guten Grund, Komplexität zu reduzieren. Betrachten wir beispielsweise den Prozess des Autofahrens, Gehens oder andere tägliche Verrichtungen, erkennen wir schnell, dass diese Tätigkeiten oft sehr komplex sind. Allein die Bewegungsabläufe bewusst zu beherrschen, ist bereits eine große Aufgabe. Oft kommen dann noch Koordinations- und Kommunikationsaufgaben mit der Umwelt hinzu. Wir können uns vermutlich alle an die Schwierigkeit erinnern, solche komplexen Vorgänge zu erlernen. Sobald wir diese jedoch einmal gelernt haben und sie für uns sinnvoll und hilfreich sind, übernimmt unser Gehirn diese hochkomplexen Vorgänge und speichert sie so ab, dass sie als „komplettes Programm“ abgerufen werden können. Das führt dazu, dass wir nicht immer bewusst über diese komplexen Vorgänge nachdenken, sondern dass sie nach einigen Wiederholungen irgendwann „automatisch“ ablaufen und zu Mustern werden, die uns nicht mehr bewusst sind.
Nutzen von Mustern im Alltag
Diese Muster zur Reduktion komplexer Vorgänge helfen uns im Alltag enorm und sind notwendig, um uns in der Welt zurechtzufinden und handlungsfähig zu bleiben. Neben den alltagspraktischen Vorgängen entstehen auch im innerpsychischen Erleben und im Zusammenleben mit anderen solche Muster. Auch hier sind die Wechselwirkungen so komplex, dass wir Muster benötigen, um die Komplexität zu reduzieren.
Anpassung an veränderte Umstände
Nun ist es jedoch so, dass sich die Umstände ändern. Unsere Kontexte verändern sich und es kommen zunehmend mehr Kontexte mit unterschiedlichen Anforderungen hinzu. Wir müssen uns dann an die Veränderungen anpassen. Meistens funktionieren unsere unbewussten Muster weiterhin und verfestigen sich immer mehr. Zum einen werden diese immer weniger beobachtbar, da sie sozusagen immer mehr im Hintergrund ablaufen. Zudem wird ein solches Muster nach sehr vielen Wiederholungen so hilfreich und wichtig, dass es von unserem Unterbewusstsein als eine Art Wahrheit angesehen wird.
Konflikt zwischen Muster und veränderten Anforderungen
Erst wenn sich die Umwelt so verändert, dass mein Muster nicht mehr zum gewünschten Erfolg führt, erlebe ich ein Problem. Um es abstrakt zu formulieren: Das „Ist“ und das „Soll“ stimmen nicht mehr überein und die bisherigen Lösungsversuche funktionieren nicht mehr. So wie es ist, soll es nicht sein und so wie es sein soll, ist es nicht! Diese Prozesse geschehen sowohl in unserem individuellen Erleben, also unserem innerpsychischen Erleben, als auch in Gruppen, Familien, Teams und Organisationen.
Widerstand gegen Musterveränderung
Nun wird die zuvor so hilfreiche Strategie der unbewussten Muster zu einer Herausforderung. Unser System – egal ob inneres Erleben, Team, Familie oder Gruppe – reagiert mit starkem Widerstand, wenn wir versuchen, die unbewussten Muster zu verändern. Falls wir diese überhaupt noch ohne Hinweise von außen als Muster identifizieren und beobachten können. Unser unwillkürliches Erleben, also unsere Reaktion aus dem unbewussten Muster heraus, ist ein ganz klares NEIN! Das Muster war jahrelang so hilfreich, wenn ich das jetzt verändere, dann funktioniert das alles gar nicht mehr. Und so entsteht unbewusst ein enormer Widerstand gegen die Musterveränderung, den wir mit unserem Verstand gar nicht erklären können.
Feier des Widerstandes
Widerstand sollte daher als natürlicher Teil des Veränderungsprozesses betrachtet werden. Oft hören wir in Beratung und Therapie „Da ist noch zu viel Widerstand!“ Ich betrachte den Widerstand als einen Hinweis darauf, dass es Bewegung gibt und es um Muster von Bedeutung geht. Er zeigt, dass ein tief verankertes Muster infrage gestellt wird und Veränderung möglich ist.
Insbesondere In Gruppen kann dieser Widerstand ermüden, frustrieren oder jegliche Veränderung als unmöglich oder viel zu anstrengend erlebt werden. Nicht selten spürt die ganze Gruppe/Familie oder Team, die Ambivalenz zwischen der Notwendigkeit der Veränderung und dem Widerstand dagegen.
Die Rolle der Außenperspektive und systemischen Haltung
An dieser Stelle wird die Perspektive von außen und die systemische Haltung in Supervision, Coaching und Therapie hilfreich. Mit der Außenperspektive und systemischen Methoden und Fragestellungen können Muster leichter erkannt werden. Durch das Erkennen, also das Bewusstwerden der Muster, werden diese auch für unseren bewussten Verstand greifbarer und wir können bewusste Veränderungen einüben, die – falls diese hilfreich und sinnvoll sind – als neue und/oder angepasste Lösungen dienen.
Ein weiterer wichtiger Schritt bei der Veränderung von Mustern ist die kontinuierliche Einübung neuer Verhaltensweisen. Dies erfordert Geduld und Unterstützung durch systemische Begleitung. Aber auch die Wiederholung ist wichtig um die neuen Verhaltensweisen im System zu etablieren. Allzu schnell sind die altbewährten Muster wieder da – fast oder gänzlich unbemerkt.
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